Systemhausgründer & die Cloud: Noch mal ins Risiko gehen oder einfach verkaufen?

Systemhausgründer & die Cloud: Noch mal ins Risiko gehen oder einfach verkaufen?

Die deutsche Systemhausbranche steht vor einem Generationswechsel und zugleich vor der Transformation ihres Geschäfts auf Managed & Cloud Services. Für viele Unternehmer, die in den 1990ern gegründet haben, läuft die Zeit ab: Sollen Sie noch einmal ins Risiko gehen und sich dem Wandel anpassen oder an einen der großen Systemhauskonzerne verkaufen?

EuroCloud bloggt für den Systemhausmarkt

An dieser Stelle sowie auf EuroCloud.de schreiben @Bernd Krakau und ich in Zukunft regelmäßig über den Systemhausmarkt und die Transformation unserer Branche in Richtung Datenwolke. Anlass ist die Systemhausinitiative Channel2Cloud, die wir bei EuroCloud, dem Verband der Cloud-Wirtschaft in Deutschland, gestartet haben.

Willkommen in unserer Kolumne

Liebe Leserinnen und Leser, nach den ersten Beiträgen möchten Bernd Krakau und ich Ihnen ganz herzlichen danken für Ihre Kommentare und Likes zum Start unserer Kolumne. Hier schon mal eine kleine Aufstellung unserer ersten Beiträge:

In dieser (und der nächsten) Folge

untersuche ich die unternehmerischen Optionen für Systemhausunternehmer, die sich allmählich Gedanken über ihre Nachfolge machen. Denn die Zeit arbeitet gegen sie. Verkaufen wäre das Einfachste angesichts der Umwälzungen durch die Cloud-Ökonomie. Aber sein Lebenswerk gegen einen Scheck eintauschen?

Am Ende von dreißig erfolgreichen Jahren steht die Cloud – wie geht es weiter?

In den 1990er-Jahren herrschte in der deutschen IT-Branche Goldgräberstimmung. Damals entstanden nicht nur die ersten Internet-Start-ups hierzulande. Auch Hunderte Systemhäuser nahmen ihren Betrieb auf, um Unternehmen beim Aufbau einer professionellen IT-Landschaft zu unterstützen. In dreißig Jahren haben sie sich ihre Rolle als wichtigste Berater und IT-Dienstleister vor allem für den Mittelstand erarbeitet.

Viele Gründer aus dieser Pionierzeit machen sich allmählich Gedanken über ihre Nachfolge. Sie sind mit ihrem Unternehmen gewachsen und haben manche Krise – vom Platzen der Dotcom-Blase über die Finanzmarktkrise bis zur Corona-Pandemie – gemeistert. Die größte Umwälzung aber steht ihnen noch bevor: Weder Börsencrashs noch Naturkatastrophen, sondern eine neue Technologie bedroht ihr bisher so erfolgreiches Geschäftsmodell.

Die Cloud stellt, wie mein Kollege Bernd Krakau in seinem Beitrag zeigt, das klassische Systemhausportfolio aus Hard- und Software, Beraterstunden und Integrationsleistungen infrage:

  • Erstens lassen Dienste aus der Cloud die Nachfrage nach lokaler IT-Ausstattung schwinden. Die Business-IT wandert zusehends in die Datenwolke ab.
  • Das bequeme Buchen von IT-Diensten übers Netz per Kreditkarte verändert zweitens die Erwartung von Geschäftskunden: Sie wollen Informationstechnik nach Bedarf nutzen als Service zum Festpreis und idealerweise nicht aus dem eigenen Rechenzentrum.

Sicher ist: Ein solches Angebot baut ein Systemhaus nicht über Nacht auf!

Managed & Cloud Services repräsentieren ein völlig neues Leistungsversprechen: Im klassischen Systemhausmarkt erbrachten noch die Hard- und Software-Hersteller den Großteil der Wertschöpfung. Jetzt wollen Kunden diese Technologie nicht mehr von ihrem Systemhaus kaufen, sondern als Full-Service monatlich konsumieren. Diese Dienste zu betreiben und zu orchestrieren, laufend zu optimieren und für den Kunden nutzbar zu machen, ist die neue Aufgabe von Systemhäusern. Ihr Wertschöpfungsanteil steigt damit enorm. Aber ebenso sein Bedarf nach Kapital und Know-how.

Durststrecke bis zum Ruhestand?

Und damit sind wir beim Kern des Problems:

Soll ein Systemhausunternehmer einen Jahresgewinn oder mehr seinem Managementteam anvertrauen, um damit einen neuen Geschäftsbereich für Managed Services aufzubauen?

Keine leichte Frage mit Ende 50, Anfang 60 und wenn man damit rechnen muss, dass sich diese Investition vielleicht erst in fünf Jahren rentiert

Die großen Systemhauskonzerne haben dank ihrer gewaltigen Ressourcen diese Durststrecke bereits bewältigt und halten jetzt Ausschau nach kleineren Konkurrentenfür weiteres Wachstum.

Erscheint es da nicht attraktiv für Unternehmer am Scheideweg, das Erreichte zu sichern?

Warum sollten sich Gründer die letzten Jahre bis zum Ruhestand mit den Unwägbarkeiteneiner Transformation herumschlagen, während die Hyperscaler klassische Systemhausdienste zu Commodities machen und der Wettbewerb längst auf die neuen Wachstumsmärkte in der Cloud setzt?

Entscheidungsalternativen

Theoretisch scheint die Sache klar: (Durch)halten oder abstoßen, wären die beiden naheliegenden Alternativen. Aber in der Praxis haben beide entscheidende Nachteile. Aber es gibt noch einen dritten Weg.

Strategie eins: Weiter wie bisher

Einige Systemhäuser machen den Schritt in Richtung Cloud erst gar nicht oder nur halbherzig. Sie reiten die Welle des klassischen Systemhausgeschäfts, solange sie ausläuft und investieren allenfalls opportunistisch in die neuen Geschäftsfelder.Das gilt besonders für Dienstleister, die stark im Handels- und Integrationsgeschäft sind und damit nach wie vor gutes Geld verdienen. Sie wären schließlich besonders betroffen von einer Transformation auf Managed & Cloud Services, mit denen sie ihre Projektumsätze kanibalisieren.

Die Wellenreiter-Strategie funktioniert sicher noch fünf Jahre, danach allerdings läuft die Garantie auf dieses Geschäftsmodell ab.

Denn es basiert letztlich auf Legacy-Systemen und dem Paradigma einer IT aus den 1990er- und 2000er-Jahren. Schritt für Schritt wird sie durch Infrastructure, Software und Platform as a Service abgelöst. Und das wirkt sich am Ende nicht nur auf den Cashflow, sondern auch auf den Wert des Systemhauses als Ganzes aus.

Investoren rechnen den Wert eines IT-Dienstleisters bei einem auf Managed & Cloud Services basierenden Geschäftsmodell mit dem Acht- bis Zehnfachen des letzten Jahresgewinns vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen. Bei klassischem Handelsgeschäft hingegen veranschlagen sie gerade einmal noch das Vier- bis Fünffache des letzten EBITDA – Tendenz fallend.

Wer jetzt nicht auf Managed & Cloud Services umsteigt, setzt mittelfristig den Wert seines Systemhauses aufs Spiel.

Vorsicht vor dem Hockey Stick

Die Wellenreiter-Strategie ist eine Wette, dass der Wandel nicht so schnell eintritt wie vielerorts prophezeit.

Aber der digitale Entwicklungsschub in der Corona-Krise sollte allen Skeptikern eine Warnung sein!

Quasi von einem Tag auf den anderen schickte die deutsche Wirtschaft ein Viertel ihrer Belegschaft ins Heimbüro. Nach Ifo-Zahlen wollen 73 Prozent der Gesamtwirtschaft nach der Krise weiterhin auf das neue Arbeitsmodell setzen. Technisch möglich machten diesen Exodus aus den Büros digitale Arbeitsplätze und Applikationen aus der Public Cloud. Hinzu kommt der kontinuierliche Druck großer Softwarehersteller wie Microsoft oder SAP, die ihre weltweite Kundschaft Schritt für Schritt auf Lösungen aus der Cloud zwingen. Offenbar passieren wir in der Corona-Krise die Krümmung des „Hockey Sticks“ dieser exponentiellen Entwicklung.

Exponentieller Wandel verhält sich wie die Tankanzeige in manchen Autos: Am Anfang will die Anzeigenadel gar nicht fallen, bis sich der Tank zum Schluss immer schneller lehrt und die Warnanzeige viel früher leuchtet, als erwartet.

Strategie zwei: Goldener Handschlag mit temporärer Anwesenheitspflicht

Die zweite Strategie wartet nicht, bis das Warnlicht aufleuchtet. Vorher überträgt sie das finanzielle Risiko der Transformation auf einen Käufer. Gelegenheiten bieten sich aktuell zur Genüge im Markt. Investoren und Systemhauskonzerne suchen allerorten nach Dienstleistern mit mindestens einstelligem Millionenumsatz.

Der Deal: Der Gründer oder Eigner veräußert seine Anteile und verbleibt für eine Übergangszeit in der Geschäftsführung des Unternehmens, um die Kontinuität gegenüber Bestandskunden zu wahren.

Am ersten Arbeitstag als Angestellter im einstmals eigenen Unternehmen betritt man dasselbe Bürogebäude, nur mit neuem Firmenschild, man bekommt das Prozesshandbuch ausgehändigt und die Car-Policy. Danach kann man dabei zuschauen, wie sich die Kultur der Organisation, die man aufgebaut hat, allmählich verflüchtigt und zu Zahlen in einer Bilanz gerinnt. So fühlt sich der Alltag an, wenn man von einem der Großen im Markt geschluckt wurde: Die eigenen Erfolge, alles, was man erreicht hat, in den Jahren davor, zählen nicht mehr. Das ist der Preis des Verkaufs. Auf dem Papier erscheint er als der sichere Weg. Aber er muss nicht der lukrativste sein und erst recht nicht der befriedigendste.

Strategie drei: Teile und wachse

Würde die Cloud Systemhäuser überflüssig machen, könnten Sie sich die Lektüre dieses Artikels sparen. Das Gegenteil ist der Fall.

Die Cloud setzt weltweit ein neues Geschäftsmodell für IT durch, ohne dass die Betreiber der großen Public Clouds den gesamten Markt für sich zu beanspruchen würden.

Die Hyperscaler haben gar kein Interesse daran, ihre Plattformen als Full-Service für jeden Mittelständler anzubieten. Sie suchen nach kompetenten Partnern, die ihnen diese Arbeit abnehmen. Und das lohnt sich.

Mit dem Umstieg auf Managed & Cloud Services können Systemhäuser ihre Gewinnspanne mindestens verdoppeln. Auf dieses Wachstumspotenzial verzichtet ein Systemhausunternehmer, wenn er seine Anteile vor der Transformation veräußert.

Kapital und Größe entscheidend für den Wandel

Um sein Unternehmen selbst durch den Wandel zu führen, fehlt es meist aber an Kapital und an noch etwas: Größe. Denn ausreichende Skalenvorteile vorausgesetzt, ist auch eine Vervierfachung des Deckungsbeitrags realistisch. So wächst die Marge von 5 bis maximal 10 Prozent im Handelsgeschäft auf 25 bis über 30 Prozent bei Managed & Cloud Services.

Gesucht ist also eine dritte Strategie, die den Systemhausunternehmer mit frischem Kapital versorgt und sein Geschäft zugleich in eine neue Größenordnung skaliert.

Die entscheidende Frage ist hier: Warum soll ein Unternehmer die Herausforderungen der Transformation allein bewältigen? Suchen Sie stattdessen nach Verbündeten für Ihr Vorhaben! Der Preis: Jeder muss ein Stück von seiner Macht abgeben.

Das Kapital steuert ein Investor bei und, anders als bei einem reinen Verkauf, der Unternehmer selbst in Form eines Reinvests. Dazu kommen weitere Unternehmer, die Kapital sowie Erfahrung, Ressourcen, Kompetenzen und Kunden einbringen. Zusammen bilden sie eine Buy&Build-Plattform, der sich immer mehr Unternehmer anschließen.

In der nächsten Folge

untersuche ich im Detail Funktion, Für und Wider von Buy&Build-Plattformen: Wie funktionieren Deals dieser Art? Welche wirtschaftlichen Vorteile bieten sie? Wie profitieren Unternehmer, aber auch welchen Herausforderungen müssen sie sich stellen?

Alle Aktionen zur EuroCloud-Systemhausinitiative auf Channel2Cloud.de

Herzlichen Dank, dass Sie bis hierhin am Ball geblieben sind! Alle Beiträge und Aktionen der Systemhausinitiative von EuroCloud finden Sie im Überblick auf unserer Seite https://www.eurocloud.de/channel2cloud.

Beste Grüße

Ihr Felix Höger

Lisann S.

Transforming Products into Market-leading Success Stories

2y

Sehr spannender Artikel. Die dritte Strategie darf ich gerade selbst miterleben. Es bleibt spannend.

Like
Reply
Christoph JUNGE

Head of Corporate Development bei adesso SE

2y

Lieber Felix, das ist ein vielversprechender Auftakt und bereits gespickt mit Ansichten, die man nur mit beiden Beinen in der Praxis erlangen kann. Danke.

Siegfried Hesker

digital entrepreneur Leadership Sales & Marketing 💡 Your Expertise 🔥 Our Know How ⬆️

2y

Experten beantworten Ihre Fragen https://www.unternehmensverkauf-consulting.info

Like
Reply
Robert Jandt

Business Development in Cloud and Outsourcing Solutions | Tech & SaaS Solutions || Finance Market

2y

Zusammenschlüsse von Systemhäusern mit Investor. Eine Entwicklung die ich mit spannung weiter beobachte. Lesenswert und gut auf den Punkt gebracht.

To view or add a comment, sign in

Explore topics